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Geodäsie in der Geschichte und bei C.F. Gauß

 
Landvermessung im alten €gypten Landvermessung im alten €gypten

chon die Großreiche am Nil und am Euphrat und Tigris, aber auch die Reiche der Mayas, Azteken und der Inkas in Guatemala, Mexiko und Bolivien, Peru boten ihren Untertanen den Service Landvermessung,um die einzelnen Grundstücke um einen veränderlichen Strom herum nach dem Hochwasser wieder zu finden, aber auch für den Terrassenbau der Bewässerungslandwirtschaft der Inkas im Altiplano.
Genauso haben auch die Römer nach der Eroberung einer jeden Provinz nicht nur die Pax Romana, das römische Geld und die 'Sitten wie im alten Rom' eingeführt, sondern auch das römische Recht und die Landvermessung. Eine Themengruppe im Kölner Museum hat daher den treffenden Titel ,,Agrippa bringt den Ubiern die Landvermessung''. Zum Beispiel sind die Werkzeuge der Landvermesser in Ägypten gut überliefert. Ein Zitat zur Landvermessung der Römer gibt Flavius Josephus in seinem Kriegsbericht:
€gyptisches VermessungsgerŠt

 
,,Wenn die Römer Feindesland betreten, beginnen sie den Kampf nicht, bevor sie ein festes Lager aufgeschlagen haben, sie errichten es aber keineswegs aufs Geratewohl und ohne Ordnung.''
Das typische Werkzeug der militärischen Landvermesser (die Groma) ist in Haltern, aber auch Aalen rekonstruiert.
Für Steinbauten war die Vermessung viel aufwendiger. Für einen Meßbalken (Chorobates) gibt es in Trier eine gute Rekonstruktion, auch für deren Gebrauch.
Me§balken

Die historische Karte von Trier nach Pfalzel mit den Römerstraßen und der Wasserleitung von Waldrach nach Trier mit einer Leistung von 25.000 Litern jeden Tag gibt eine Vorstellung von der technischen Umsicht der Erbauer.

Natürlich muß man nicht glauben, daß die Kelten und Germanen das so besonders schön fanden. Aber, zum Beispiel in Nimes, sind die Führer der Meinung, daß das Theater und die Wasserleitung (also hier der 'Pont du Gard') viel mehr die Romanisierung gefördert haben als der römische Kult (hier also die 'maison carée').
Ebenso wird das in Spanien in Segovia und Tarracona, in Algerien in Timgad, und in England in Bath, aber auch in Köln gewesen sein.

Pont du Gard Maison carŽe Segovia

Wie der Wasserbau gemacht worden ist, beschreibt S. Julius Frontinus (35 - 103 n.Chr.), aber von den Meßgeräten gibt es bloß noch seine Beschreibung: der Meßbalken jedes Visier-Gerätes war 6 m lang.
Die Mathematik dafür ist natürlich die von Euklid. Jedoch war eigentlich die Eifel-Wasserleitung für Köln mit 95 km schon so lang, daß die Erdkrümmung gegen die euklidische Geometrie einen meßbaren Effekt hätte haben müssen, aber das Gelände ist gebirgig. Außerdem wurde das richtige Gefälle wie mit einer Libelle eingerichtet und nicht durch Lichtstrahlen. Auf der Karte findet man den Verlauf der Eifel-Wasserleitung. Viele Einzelheiten sind ausgegraben und gut zugängig. Bei Metternich in Vussem gibt es heute einen rekonstruierten Aquäduktbogen.

Verlauf der Wasserleitung in der Eifel Rekonstruktion der Eifel-Wasserleitung Groma
Technisch besonders bemerkenswert ist die antike Wasserversorgung der Stadt Rom. Wir geben hier einen Plan wieder, wie die 11 Wasserleitungen in die antiken Bauten hineingehört haben, und eine verblüffende Rekonstruktion, wie das damals wohl ausgesehen hat. 

Hauptquelle dafür ist ein kleines erhaltenes Buch ,,Über die Wasserversorgung der Stadt Rom'', von Frontinus, der als Leiter der Wasserbehörde Roms zwischen 97 n.Chr.  und 102 n.Chr. einen Bericht über seine Amtsführung verfaßt hat. 

Wasserleitungen in Rom
VermessungsgerŠte der Renaissance Diese Vermessungsgeräte benutzte man in der Renaissance.
 
Belagerung von JŸlichDie antike Landvermessung geriet fast in Vergessenheit, erst im 16. Jahrhundert war sie wieder hochmodern wegen ihrem Nutzen für die großen Kanonen und das Militär. Der Stich von der Belagerung der Stadt Jülich (1610) mit der Bahn einer Kanonenkugel genau in die Stadt Jülich hinein stammt von M. Merian (1593-1650).

Der oben genannte Gemma Frisius schrieb ein modernes Buch über Trigonometrie. Die erste großräumige Prospektion war die Vermessung Irlands, vor allem der irischen Küste am Ende des 17. Jahrhunderts durch die englische Flotte, danach wurden auch ganz England und unabhängig davon auch Frankreich vermessen. So entstand nach und nach das Problem, daß jeder Staat seine eigene Erdvermessung machte, und man nachher Formeln bestimmen mußte, um alle Systeme ineinander umzurechnen, weil jedes Land ein eigenes Normalnull und eigene Parameter der Halbachsen des Geoids hatte. Noch 1947 unterschieden sich die Daten so: Dänisches gegen schwedisches System bis 95 m, dänisches gegen deutsches System bis 250 m, dänisches gegen norwegisches System bis 171 m, und englisches gegen französisches System 191 m.

Das war so, obwohl es seit 1867 ein gemeinsames Amt ,,Europäische Gradmessung zu Potsdam'' und seit 1886 eine International Geodetic Association (in Potsdam, dann Brüssel) gab. Mit deren Daten dann beobachtete S.C. Chandler 1881 eine Kreiselbewegung des Erdellipsoids gegen die Erdachse von 0,1'', die eine Periode von 14 Monaten hat. Die Theorie von L. Euler (1744) hatte jedoch eine Periode von 10 Monaten vorhergesagt. Der Unterschied wird erklärt durch die Physik der Flüssigkeiten der Erde, nämlich das Wasser der Meere und das Magma im Inneren der Erde. Diese Flüssigkeiten verhalten sich nämlich nicht wie starre Körper. Die trigonometrischen Methoden sind wegen der gravimetrischen Anomalien der Erde schwierig anzuwenden, und die gibt es, weil die Erdschollen ungleich schwer und verschieden eingetaucht sind.

Neben den trigonometrischen Methoden zur Vermessung des Geoids sind in diesem Jahrhundert auch mehrere astronomische Methoden diskutiert und verwandt worden.

(1)  Die 'Rocket-Star-Methode': Man schießt eine Rakete genau vertikal in den Himmel und fotografiert diese von den verschiedenen Punkten aus zum selben Zeitpunkt zusammen mit den Sternen als Hintergrund.

(2)  Messung des Zeitablaufes der Sonnenfinsternisse in verschiedenen Punkten, also mit dem Mond statt einer Rakete, sonst wie (1). Das wurde oft benützt für 'international geodetics'.

(3)  Mond-Kamera oder Mond-Okkultation eines Sternes.

(4)  Heute gibt es dafür die Satelliten-Trigonometrie. Die nimmt natürlich näherungsweise zu recht an, daß sich diese Lichtstrahlen gerade ausbreiten, und deren Winkelsumme im Dreieck $180^{\circ}$ ist.

C. F. Gau§Eine besondere Bedeutung für die Geodäsie hatte C.F. Gauß (1777 - 1855). Sein Beitrag ist ein Meßgerät, der Heliotrop, mit dem das Sonnenlicht durch einen Spiegel auf weite Entfernungen den einen Meßpunkt dem anderen (bei Tage) 'wie ein heller Stern' signalisiert.

Gauß hat für den König von Hannover und für unseren 10-Mark-Schein dessen Königreich zwischen 1818 und 1827 alle Sommer wieder weiter genau vermessen, und den ,,geodätischen Zusammenhang'' zwischen der dänischen und der französischen Landvermessung beigesteuert, (,,geodetic connection'' ist heute ein fundamentaler Begriff der Differentialgeometrie, und er besagt eigentlich genau dieses). In seine Hauptarbeit über Differentialgeometrie ,,Disquisitiones generales circa superficies curvas'' (1828) hat er seine Erfahrungen bei der Landvermessung eingebracht, und hat als Hauptsatz im Kapitel XIX sein 'theorema elegantissimum' beiwiesen, daß eben auf jeder krummen Fläche (etwa auch auf dem Erdellipsoid) die Winkelsumme im Dreieck einen Korrekturterm wie ,,Krümmung mal Flächeninhalt'' bekommen muß. Als Beispiel rechnet er das bei weitem größte Dreieck seiner Landvermessung im vorletzten, im XXIX Kapitel vor, und zeigt, welche Änderung die gemessenen Winkel in seiner ebenen Karte des Landes bekommen müssen:

,,[...] calculus sequentes reductiones angulis applicandas prodidit'':

\begin{align*}\mbox{ Hoher Hagen } .\ldots & \mbox{ -- } 4'',95113\\\mbox{ Br......194\\\mbox{ Inselsberg } .\ldots \ldots & \mbox{ -- } 4'',95131.\end{align*}

Ich selber war als Student einen Sonntagnachmittag mit dem Fahrrad auf dem Hohen Hagen. Dort steht ein moderner Fernseh-Turm und ein Aussichts-Turm der Jahrhundertwende. Darin ist ein kleines Museum für C.F. Gauß (1777 - 1855). Dort sind die Instrumente seiner Zeit zu sehen und Kopien seiner Protokolle. Er hat die Winkelsumme für dieses Dreieck immer wieder gemessen, und zuletzt eine Fehlerrechnung dafür gemacht (welche er - wohl dafür - erfunden hat), und er war erkennbar zufrieden, daß er mit $180^{\circ}$ Ergebnis davon kam. Damals hatte ich geglaubt, daß Gauß die Relativitätstheorie geahnt haben mag. Aber es ist nicht so ganz plausibel. Gauß war sehr gründlich, vielleicht wollte er nur seine Fehlerrechnung testen, vielleicht auch wissen, ob die 6 Stellen seiner Rechnung oben 'calculus prodidit' überhaupt vernünftig sind. Jedenfalls hat er wohl genausowenig wie vor ihm (1783) Immanuel Kant geglaubt, daß er 'das Resultat $180^{\circ}$' schon vorher glauben müsse. Der Krümmungsterm, welcher in der Maßebene die Lichtstrahlen stören kann, ist nicht die Krümmung der Erde sondern die Krümmung des umgebenden Raumes. Die Formeln sind aber genau dieselben. Heute heißt der allgemeine Satz der Satz von C.F. Gauß und P.O. Bonnet (1819 - 92). Die Winkelsumme in der Maßebene ist immer $180^{\circ}$; wenn man den Theodoliten genau in die Horizontale schwenkt, bekommt man (wie Gauß oben) eine größere Winkelsumme als $180^{\circ}$.


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19.4.1999