Daß die Erde eine Kugelgestalt hat, ist antike Astronomie, und war seit dem Spätmittelalter allen Seefahrern und Geographen klar. Es gab auch lange davor schon byzantinische Mosaiken, wo Jesus als Kyrios Pantokrator mit ausgebreiteten Armen groß über der Erde thront, und diese Erde eine Kugel ist. Auf die Idee, daß es ganz plausibel wäre, wenn die Erde die Gestalt eines abgeplatteten Rotationsellipsoids hätte, kamen Huygens (1629-1695) und Newton (1642-1727) aus physikalischen Überlegungen. Ein rotierender Tropfen aber auch genauso ein rotierender Ball erlebt längs seines Äquators eine Fliehkraft nach außen, die zum Beispiel jeden Tropfen sofort verformt.
Eine große Rolle hat diese Idee aber nie gepielt, bevor
nicht die italienisch-französische Astronomenfamilie Cassini
eine Reihe Meßfehler aufgehäuft hat, und sich besonders einer,
Jaques
Cassini (1677 - 1756), für seine Idee zum Fenster hinausgelehnt
hat, daß die Länge jedes einzelnen Grades der Längenmeridiane
größer wird vom Pol zum Äquator. Dann ist nämlich
die Erde an den Polen am meisten gekrümmt, eher wie eine Zigarre z.B.
als wie ein Diskus.
Er hat das 1720 veröffentlicht (Traité de la grandeur et de la figure de la terre). Diese seine Schlußfolgerung wurde aber von englischen Fachleuten lebhaft und äußerst heftig attackiert, und in einer Zeit, in der die wirtschaftlichen und politischen Konflikte zwischen England und Frankreich extrem groß waren, da war das auch eine Frage von ,,nationaler Bedeutung''. |
Jean Picard (1620 - 1692) hatte vom Observatoire de Paris aus ein Stück von Nordfrankreich trigonometrisch vermessen und insbesondere die genaue Länge von der Strecke ,,1 Längengrad'' von Paris aus nach N gemessen.
Jean Dominique Cassini hat diesen Meridian ,,nach Süden verlängert'' und sein Sohn Jaques Cassini (1677 - 1756) hat den bis nach Canigou im Roussillon fortgesetzt, und 1720 stolz und überstürzt publiziert, daß vom Pol zum Äquator der Längengrad länger wird im Verhältnis 96 : 95.
Schon sein Vater hatte eine Expedition der Académie française nach Cayenne mit M. Richer als Chef unterstützt. Dieser Richer hat fast durch Zufall entdeckt, daß eine Pendel-Uhr, die in Paris auf 24h gut reguliert war, in Cayenne Minuten verloren hat gegen Paris. Das war nacher ein sehr gutes Argument für die englischen 'earth flatteners', denn das Pendel geht langsamer, weil es auf dem Wulst des Äquators dort weniger Schwerkraft erleben kann. Jedenfalls gab es eine wilde Diskussion und die Akademie in Paris beauftragte 2 Expeditionen nach Ecuador (1735, Bouguer und Condamine) und nach Lappland (1736, Maupertius), um das zu entscheiden.
Vorher hatte Cassini die Länge eines Breitengrades quer durch Frankreich von Straßburg nach Brest vermessen und fand dabei seine Messung von 1718/1720 bestätigt. Der Leiter der Expedition nach Lappland war P.L.M. de Maupertius, der wohl gewußt haben muß, daß Cassini nicht recht haben kann. Die wahre Abplattung beträgt 1 : 297, die von de la Condamine und Maupertius betrug sogar 1 : 213; sie ist erst im vorigen Jahrhundert genau fixiert worden.
Lauter Meß- und Denkfehler:
1. Cassini II benützte die Daten von J. Picard und wußte nicht, daß dessen Längenmaß ,,toise'' nicht genau das Maß war, das er von der Akademie als ,,toise'' bekommen hatte.
2. Er übernahm die geographische Breite von Straßburg von seinen Vorgängern, und die hatte soviel Meßfehler, wie eben für seine Theorie günstig war.
Ein finnischer Geograph (Y.Leinberg) hat in unserem Jahrhundert die Messungen von Maupertius ganz genau nachgemacht. Er hat festgestellt, daß Maupertius einige auch für damalige Technik ernsthafte Meßfehler begangen hat, aber alle Meßfehler haben dasselbe Vorzeichen(!). Wenn jene Meßfehler alle das andere Vorzeichen gehabt hätten, sonst gleich groß, hätte die Expedition keine klare Entscheidung zuwege gebracht.
Merke: Es ist ganz gut bei allen Messungen, wenn man vorher weiß,
was herauskommen soll.
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