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Ringvorlesung 
„Geschichte der Mathematik“


Erdvermessung und Geometrie 
im Laufe der Zeit

Prof. Dr. R. Böhme

10. November 1998

Aristoteles (384-322 v.Chr.)
eometrie ist ein griechisches Wort und bedeutet Erdvermessung, und Geometrie ist eine von den alten Griechen erfundene Wissenschaft. Sie wurde für so wichtig gehalten, daß über der platonischen Akademie in Athen wohl der Spruch gestanden hat: 
,,Wer keine Geometrie kann, darf nicht eintreten.'' 

\begin{picture}(140,24)\put(25,3){\framebox (90,15){\Large A$\Gamma$ E$\Omega$ METPHTO$\Sigma$\space \ MH \EI$\Sigma$ IT$\Omega$ }}\end{picture}

Wenn man ein Versmaß haben will, muß man übersetzen:

„Kein Zutritt für Nicht-Geometer“

Ich will deshalb referieren, wann und wie beim Vermessen von Stücken dieser Erde - später auch von ebenen Figuren - ebenso beim Vermessen der Erde im Ganzen, ihrer näherungsweisen Kugelgestalt usw, und schließlich beim Vermessen des 3-dimensionalen Weltalls immer neue Probleme und Ideen aufgetaucht sind, und wie diese den Bestand der Mathematik wesentlich beeinflußt haben.

C. F. Gau§Beispielsweise möchte ich erzählen, wann, wie und warum C.F. Gauß  (1777-1855) die Winkelsumme im Dreieck nachgemessen hat, und sich mit seinem Wert $180^{\circ}$ sowie einer Fehlerrechnung dazu zufrieden gegeben hat.

Ich unterscheide deshalb heute abend die 'Vermessung auf der Erde', die natürlich an die Geodäsie grenzt, die 'Vermessung der Erde und des Weltraums', die ebenso an die Astronomie grenzt, und die eigentliche 'Geometrie', welche sich von ihren Anwendungen gelöst hat.

Daß ich hier mit den 'alten Griechen' angefangen habe, ist ganz berechtigt, nämlich: Weil das nächste Jahrhundert ein Jahrhundert der Europäer werden soll, möchte ich den französischen Lyriker Paul Valéry (1877 - 1945) zitieren. Valéry war schnell ein sehr berühmter Dichter (des Symbolismus und Expressionismus), welcher - als große Ausnahme - ganz bewußt auch Mathematik studiert hat. Er war in den ,,reinen Geist'' vernarrt und hat deshalb fast 2 Jahrzehnte lang nichts publiziert. In Zürich hat er 1920 einen Vortrag (französisch) über die ,,Krise des Geistes'' (nach dem Krieg) gehalten und ganz pointiert den ,,Europäer'' definiert, durch drei kulturelle Besitztümer: das römische Recht, die christliche Tradition und die griechische Geometrie.

Goldener Schnitt: DE:EA , AC:DA
,,Die Säulen, Kapitelle und Architrave [der griechischen Tempel], ihre Giebelfriese und deren Gliederung, die Ornamente, die darin entspringen ohne Platz und Erscheinung zu überladen, diese alle lassen sich genau so vorstellen, wie die Teile der mathematischen Wissenschaft, die Definitionen, Axiome, Lemmata, Theoreme, Korollare, Widersprüche und Probleme. In der Architektur aber erst wird die Maschine des Geistes sichtbar. [...]

Überall, wo die Namen Cäsar, Gaius, Trajan und Vergil, überall wo ebenso auch die Namen von Moses und des Hl. Paulus, überall wo ebenso die Namen Aristoteles, Platon und Euklid eine Bedeutung und eine Autorität besitzen, dort ist Europa.''
Im Französischen Original liest sich das so:

,,Mais qui donc est Européen?
C'est n'est pas une définition logique que je vais développer devant vous. C'est une manière de voir, un point de vue. [...]
Je considérerai comme européens tous les peuples qui ont subi au cours de l'histoire les trois influences que je vais dire.
La première est celle de Rome. [...]
Vint ensuite le christianisme. [...]
Ce que nous devons à la Grèce est peut-être ce qui nous a distingués le plus profondément du reste de l'humanité. Nous lui devons la discipline de l'Esprit, l'exemple extraordinaire de la perfection dans tous les ordres.
La géométrie grecque a été ce modèle incorruptible, non seulement modèle proposé à toute connaissance qui vise à son état parfait, mais encore modèle incomparable des qualités les plus typiques de l'intellect européen. Je ne pense jamais à l'art classique que je ne prenne invinciblement pour exemple le monument de la géométrie grecque.''
 



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31.10.2000